Vera Oelschlegel

Vera Oelschlegel

Ich heiße Vera

Mitternachtstrolleybus

Liverpool Lullaby

Solange die Kinder noch schlafen

Zwei Liebeslieder

Abendwind

Ich trug eine im Haar

Ballade vom edlen Räuber

Der Monarch

Aus dem Gefängnistagebuch Ho Chi Minhs

Höre, Israel

Die Verlassene

Tagelied

Auf dem Berarbeiterball

Unser Land ist unser Haus

Doch, der Text auf der Rückseite einer Schallplattenhülle wird gelesen, sagen Leute, die es wissen müssen.
Viele lesen, ehe sie hören. Viele hören natürlich auch, ehe sie lesen. Manche lesen vielleicht und hören dann nicht? Das soll der Text eben verhindern. Jetzt wissen Sie, woran Sie sind. Es soll Ihnen Lust gemacht werden, diese Platte, nachdem Sie sie entkleidet haben, unter den Tonarm zu nehmen, und wenn Sie dazu, welcher Regung auch immer folgend, schon geneigt sind, dann sparen Sie sich diese Lektüre.
Wenn Sie aber eine ausgesprochene Leseratte sind, dann lesen Sie gleich mal, damit Sie reell bedient werden. Was Sie nicht erwartet: keine Ich-singe-mal-so-vor-mich-hin-Lyrik in der Modefarbe Moll, wo Sie nie wissen, ob das Stück, das gerade läuft, nicht eben schon dran war; und auch kein sanfter Regen aus Chanson, der die Verführung einer unentschlossenen Braut erleichtert. Keine Platte zum Weghören also. Doch müssen Sie nicht mit gerunzelter Stirn lauschen.
Sie können sitzen, liegen, stehen, hin und her gehen, essen, trinken und sich unterhalten. Vera Oelschlegel singt für 16 Mark 15 Lieder und sie singt sie so, daß Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit
hinhören werden. Die Stimme mag Sie anrühren, ein Gefühl Sie treffen oder ein Gedanke Sie betreffen.
Mit dem Singen ist Vera Oelschlegel, wie man erfahren hat, ziemlich weit herumgekommen, alpha-, betisch geordnet war sie in Ägypten, Bundesrepublik, CSSR, Dänemark, Finnland, Indien, Irak, Jugoslawien, Libanon, Norwegen, Österreich, Polen, Rumänien, Schweden, Schweiz, Sowjetunion, Syrien, Ungarn.
Das ist ihre erste Langspielplatte bei uns. Vera Oelschlegel singt sehr verschiedene Lieder, und die Begleitung spielt dazu auf angemessen verschiedene Weise Jazz-, Marsch-, Hinterhof-und Kammermusik. Ein Instrument aber will ich hervorheben: die Gitarre, die Dieter Rumstig bedient. Er ist der Leiter des Ensembles 66, ohne das Vera Oelschlegel seit 66 nicht aufgetreten ist. Zitat aus einer Antwort Vera Oelschlegels auf die Frage, warum sie singe: „Jean Jacques Rousseau definierte das Chanson als ,ein kurzes lyrisches Gedicht, das sich ganz schlicht auf eine angenehme Weise mit angenehmen Dingen beschäftigt, wozu man eine Melodie fügt, damit man es singen kann gelegentlich in der Familie, bei Tisch, in Gesellschaft seiner Freunde oder seiner Geliebten oder auch allein, um eine Zeitlang der Langweile zu entgehen, wenn man reich ist, oder um Arbeit und Sorgen leichter zu ertragen, wenn man arm ist.' Nun bringt es unsere Zeit mit sich, daß es mir nicht gelingen will, mich durchweg schlicht mit angenehmen Dingen auf angenehme Weise zu beschäftigen. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, daß ich weder arm noch reich bin. Ich muß also weder der Langweile entgehen, noch Arbeit und Sorgen. Was ich da mache, ist meine Arbeit. Wir arbeiten en commune, ensemble. Wir sind als Beschleunigerzwischen Dichter, Komponist und Zuschauer geschaltet. Wir nehmen Stellung, vermitteln, legen aus, schreien, rufen, flüstern, weinen, trällern jubilieren, lachen: -singen."
Es sollte jemand, Handwerk vorausgesetzt, beim Singen sich selbst zeigen. Das gelingt Vera Oelschlegel; es gelingt ihr auch durch die Auswahl ihrer Lieder. Dieses und jenes davon gäbe es nicht, hätte sie nicht den Komponisten die Gedichte gebracht. So ist auch die schöne Vertonung der Verse von Aragon entstanden.
Aber nicht weniger gefällt mir, wie Vera Oelschlegel die sehr anders gearteten Lieder von Hacks und Asriel singt, dabei könnte sie einen Nachmittag lang bleiben. Und sofern da von Liebe und gelbem Mond die gesungene Rede ist, geht es vielleicht doch der oben erwähnten Braut unter die Haut.
Wolfgang Kohlhaase