Musik aus dem Ballett Gjaneh - Berliner Rundfunk Sinfonie-Orchester Dirigent Horst Stein

Musik aus dem Ballett   Gajaneh
Aram Chatschaturjan gilt als einer der bedeutendsten Komponisten der Sowjetrepublik Armenien. Es ist bezeichnend für ihn, daß er als Neunzehnjähriger sein Musikstudium am Moskauer Gnessin-Institut aufnahm, ohne auch nur die geringste Vorkenntnis im Kompositorischen zu besitzen, nicht einmal Noten lesen konnte er. So zeugt es von erstaunlicher Energie und eminenter Begabung, daß Chatschaturjan trotzdem bereits während des Studiums mit Kompositionen hervortrat, die spontanen Beifall ernteten. Im Laufe der Jahre hat der Komponist eine beachtliche Reihe von Werken geschaffen, von denen die „Tanz-Suite", je ein Konzert für Klavier, Violine und Violoncello» drei Sinfonien, die Ballette „Gajaneh" und „Spartakus", Bühnenmusik zu Lermontows „Maskerade" und die „Lenin-Ode" hervorgehoben seien.
Typisch für den Sowjetkomponisten Chatschaturjan ist es, daß er die Volksmusik der Heimatrepublik, die Lieder und Tänze Armeniens, als den Urgrund seines Schaffens betrachtet und verwirklicht. Aber ebenso kennzeichnend ist es, daß er die reichen Traditionen der russischen Musik als Inspirationsquell und Vorbild handwerklicher und dramaturgischer Meisterschaft heranzuziehen und mit offenem Blick, in wohlerwogener Auswahl, die langjährig studierte Musik Europas zu nutjen weiß. Hervorzuheben sind die stilistischen Eigentümlichkeiten Peter Tschaikowskis und die Musik Maurice Ravels, Manuel de Fallas und Bela Bartoks.
Die hier vorliegende Schallplatte bietet eine kleine Auswahl aus den drei Suiten der Ballettmusik „Gajaneh". Die Musik entstand 1942 unter Verwendung von Teilen eines vorangegangenen Balletts („Das Glück", 1939).   Chatschaturjan  nahm   1952 eine Umarbeitung  vor.
Nicht nur das musikalische Material, auch das Sujet der Handlung (Libretto von K. Dershawin) ist in den Bergen Armeniens beheimatet. Auf einer Kolchose lebt Gajaneh, eine junge Baumwollpflückerin, an der Seite eines engstirnigen und brutalen Mannes, der den Sozialismus haßt. Und in diesem Haß schikaniert er seine Frau, die er, nach „altehrwürdiger Orientalensitte" als Haussklavin betrachtet. Von einer Gruppe Gleichgesinnter läßt er sich überreden, die Baumwollspeicher der Kolchose in Brand zu stecken. Gajaneh stellt sich in dem dadurch auftretenden Konflikt gegen den ehelichen Hauspascha und entscheidet sich für das Wohl der Gemeinschaft. Damit findet sie den Weg aus der persönlichen Problematik zum persönlichen Glück durch den Einsaß für das Allgemeinwohl.
Chatschaturjans Ballettmusik weist neben einer Fülle dramatischer Partien eine große Zahl von brillanten Tanzsätzen auf. So ist der TANZ DER BERGBEWOHNER ein echtes Abbild der rauhen Bergwelt Armeniens und ihrer Menschen, dem entspricht auch die derbe, kräftige Instrumentierung. Von lyrischer Innigkeit ist das WIEGENLIED, erfüllt von Zärtlichkeit und Anmut. Der SÄBELTANZ und der RUSSISCHE TANZ sind beide, wie die anderen Tänze dieser Ballettmusik, ein wahres Panorama des tanzenden und jubelnden Volkes. Dank der unwahrscheinlichen plastischen Bildhaftigkeit glaubt man, die Tänzer durch die Luft wirbeln zu sehen, man hört ihr wildes Stampfen und die schrillen Pfiffe.
Die originelle Handschrift des Komponisten zeigt sich in jedem Safe-Chatschoturjans Musik zu hören, bereitet wahrlich ästhetischen Genuß; jeder Takt dokumentiert das Ethos eines besonnenen, mit vollendeter Meisterschaft ausgezeichneten   Musikers.
Alfred   Brockhaus