Sade- Diamond Life

Sade- Diamond Life

Smooth Operator

Your Love is King

Hang on to Your Love

Frankie´s First Affair

When am I Going to Make Love

Cherry Pie

Sally

I´ll Be Your Friend

Why Can´t We Live Together

Es ist schon ein Phänomen: Von den englischen Musikern haben weit mehr eine Kunstschule absolviert als je eine Musikschule von innen gesehen. John Lennon, Eric Clapton und Keith Richard von den Rolling Stones sind nur einige von vielen. Letzterer äußerte einmal selbstkritisch: „Also wenn man in England Glück hat, dann landet man auf der Art School. Da stecken sie einen hin, wenn sie einen nirgendwo sonst hinstecken können. Trotzdem: Two-Tone, der Schwarz-Weiß-Kontrast der Ska - Gruppen, die exotische Buntheit der New Romantics und das Bild zahlreicher neuer britischer Gruppen wurden in den Kunstschulen konzipiert. Stil zu haben, ist heute fast eine Erfolgsgarantie. Und wenn dazu eine Musik kommt die nicht nur aktuellen Trends hinterherläuft und auf Hitparadenplätze spekuliert, entstehen unverwechselbare Personalstile, die wiederum neue Trends auslösen. Einer dieser Trends ist der New Jazz, der Neue Jazz, oft auch als No Wave. als Keine Welle, bezeichnet. Und genau das ist er auch nicht. Gruppen wie Matt Bianco, Working Week. Everything But The Girl, die Sängerin Alison Moyet und vor allem Sade Adu mit ihrer Gruppe SADE versuchen keine neuerliche Synthese von Rock und Jazz, wollen nicht aus zwei halben Sachen eine vollwertige neue machen, sondern reichem das Jazzidiom der fünfziger Jahre mit den dreißig Jahren Musikgeschichte und -praxis danach an. Das Ergebnis paßt nicht mehr in die gängigen Schubladen der Musikindustrie, entzieht sich jeglicher Kategorisierung. Und so ist Sade Adu auf dem renommierten Montreux Jazz Festival ebenso zu linden wie beim Live-Aid-Konzert der Rockmusiker oder in den aktuellen Hitparaden.
Dabei ist ihre musikalische Laufbahn noch so kurz, daß die abgegriffene Bezeichnung vom shooting star, vom Senkrechtstarter, durchaus noch ihre Berechtigung hat. Zwei Langspielplatten in zwei Jahren - die vorliegende „Diamond Life“ aus dem Jahre 1984 und Ende 1985 „Promise" -, Hits wie „Your Love Is King", „Smooth Operator" und „Sweetest Tabu" sind ohrenfällige Belege, überzeugen durch .die Mischung aus samtweicher Stimme, exotischem Look und gedrosseltem Jazz-Klang", wie die Fachkritik schrieb. Sade (gesprochen „Schadeh") wird bereits als die „Queen of Cool" gefeiert, Traditionslinien werden zu Dinah Washington, Billie Holiday und Nina Simone gezogen.
Sade Adu kommt aus Nigeria. Ihr Vater, vom Volke der Yoruba. hatte in London Ökonomie studiert, die Mutter war dort Krankenschwester. Als Sade vier Jahre alt ist, geht die Mutter mit den Kindern zurück nach England. Mit 17 Jahren studiert Sade am Londoner St. Mertin's College drei Jahre lang Mode. Danach entwirft sie vorwiegend Herrenmode und arbeitet nebenbei als Fotomodell. Ab 1981 ist sie häufig im Club „La Beat Route" im Londoner Stadtteil Soho zu finden. Mit der Band Ariva steht sie zum ersten Mal auf der Bühne. Aber erst, als sie Stuart Matthewman und Paul Denman von der Gruppe Pride und später den Keyboarder Andrew Haie kennenlernt, kommt alles Ins Rollen. In dem fast erblindeten Robin Millar finden sie einen Produzenten, der sensibel genug ist, ihre Musik für eine Platte zu konservieren. In nur sechs Wochen ist „Diamond Life" fertig. Das Quartett wird dabei durch hervorragende Studiomusiker vorstärkt. Außer an „Why Can't We Live Together" von Timmy Thomas (Sade: „Ich kann mir nicht vorstellen, jemals aufzutreten, ohne dieses Stück zu bringen.") ist Sade an allen Kompositionen der Debütplatte beteiligt „Im allgemeinen schreibe ich die ganzen Texte und die Hauptmelodien. Als Ganzes entstehen die Songs dann doch von uns allen." Stuart Matthewman ist dabei so etwas wie das musikalische Rückgrat der Band. Die Themen für ihre Songs findet Sade in ihrer näheren und weiteren Umgebung. Als sie z. B. einmal in New Yorks Lower East Side auf den Bus wartete, beobachtete sie den Eingang eines Hauses der Heilsarmee: .Auf der anderen Seite vor diesem Armenhaus hatte sich eine riesige Schlange gebildet. Alles Männer, die für eine warme Suppe und ein Dach über dem Kopf anstanden. Was mich wirklich schockierte, war die Tatsache, daß es sich dabei ausschließlich um junge Leute handelte, alle total abgerissen und mittellos." Reflexion dieses Erlebnisses: der Song „Sally". In „Hang On To Your Love" geht es um die Treue zu einem Menschen, die in der Hektik des Alltags nur zu oft auf der Strecke bleibt „Frankie's First Affair" wurde von einem Bekannten inspiriert, für den Frauen nicht mehr als ein Spielzeug sind, bis es ihm einmal umgekehrt ergeht „When Am I Going To Make A Living" ist stark autobiographisch, erzählt von der „Vergeudung von Körper und Seele", bis man beginnt, an sich selbst zu glauben. Und es ist darin auch die Rede von der Verantwortung als Künstler, die man niemanden zuschieben kann.
Gemeinsam ist allen Songs eine kühle Eleganz. Schlichtheit und Unaufdringlichkait eine Lockerheit, die nur mit dem englischen Wort „relaxed" umfassend zu beschreiben ist „Musiktherapie" nannte ein Kritiker ihre erste Platte. SADE hat das Einfache gefunden, das so schwer zu machen ist Sades dunkle Stimme mit der geradezu körperlichen Faszinationskraft der immensen Intensität, korrespondiert perfekt mit der soliden, musikantische Erfahrung verratenden Spielweise ihrer Partner, die wesentlich mehr als bloße Begleiter sind.
Inzwischen hat Sade mit Working Week die Musik zu dem Film „Absolute Beginners" eingespielt Regisseur ist Julien Temple. der Sade auch in ihren Videos wirkungsvoll in Szene setzte -bei einer Frau mit einem solch attraktiven Aussehen, mit einem so perfekten Styling, mit dem Image eines eleganten Luxusgeschöpfes, das nicht von dieser Rock-Welt zu sein scheint sicher keine allzu schwierige Aufgabe. Thema des Films ist Englands Jazzszene der fünfziger Jahre, die Zeit als Jazz noch Tanzmusik im besten Sinne des Wortes war. Diese Rückbesinnung auf musikalische Muster vergangener Jahre ist jedoch alles andere als Nostalgie. „Quality Never Goes Out Of Style heißt ein Werbespruch - Qualität kommt nie aus der Mode. Und Sade hat Talent und Stehvermögen, sich diese Qualität zu bewahren.
Rainer Bratfisch (1986)