Puhdys 2

Puhdys

Langstreckenlauf

Lied für Generationen

Kinder

Steine

Scheidung

Jodelkuh-Lotte

Spiel zu zweit

Sonntagsfahrer

Manchmal im Schlaf

Die Sonne kennt ihren Weg

Das ist also die „zweite" Platte der Puhdys. Kaum einer wird fragen, warum ich „zweite" in Gänsefüßchen setze. Jeder weiß, daß die zweite Platte selbstverständlich schlechter ist als die erste. Zumindest glaubt das jeder. Auch über die zweite Puhdys-LP hat man 1975 ziemlich abfällig geredet, gekauft hat man sie allerdings nicht minder als die vorangegangene. Die Presse hat sich relativ wohlwollend verhalten - nur das Jugendmagazin „Neues Leben" verriß alles: Texte, Kompositionen, die Interpretation. Was ist eigentlich an der Sache mit der „zweiten" Platte dran? Ganz einfach: sie trägt die Last der gespanntesten Erwartung. Inzwischen waren die Puhdys ja einhellig unsere „populärste" Rockformation geworden, unbeschadet der Bedeutung der anderen namhaften Gruppen und wozu die Um-Gruppierungen in der Szene alsbald das Ihre beitrugen. Wer aber an der Spitze steht, muß sich immer wieder selbst überbieten. Nachdem auf der soliden Basis der Produktionen, Sendungen und Wertungen des Rundfunks sowie der Verdienstvollen alljährlichen „Rhythmus"-Aktionen die „Hallo"-Serie seit 1972 das regelmäßige Erscheinen von Langspielplatten mit volkseigener Beatmusik durchgesetzt hatte, zogen die jeweils ersten Porträt-Platten der Gruppen die künstlerische Bilanz meist eines ausreichend langen Zeitraums. Die Titel der ersten Puhdys-LP waren das Ergebnis dreijährigen Schaffens gewesen. Denn vor jeder mechanischen Vervielfältigung sicherten die eigenen Kompositionen das notwendige Repertoire für die Konzerte, für die Tanzveranstaltungen, deren Zahl im ganzen Lande sprunghaft zunahm. Das war und blieb ja das Hauptbetätigungsfeld der Gruppen, auch der Puhdys. Sie hatten das massenhafte Bedürfnis nach Veranstaltungen zu befriedigen. Und wollten sie etwas besonderes werden, mußten sie ihre kreativen Fähigkeiten beweisen. Nicht die Lautstärke, nicht Stilvorgaben hatte die Revolution der populären Musik durch die bisher nachgespielten Vorbildgruppen auch uns in der DDR gelehrt, sondern dies: wirkliche Rock-Musiker reproduzieren nicht fremde Lieder, sie produzieren eigene. Und ihr Anteil muß ständig wachsen. Im unmittelbaren Interesse des Reifens einer eigenständigen populären Rock-Musik, wenn sie sich auch im internationalen Vergleich diesen Namen verdienen wollte. Daß dabei der Sprung von der englischen zur deutschen Sprache vollzogen werden mußte, war nur logisch: was eigentlich sollte ein deutsches Publikum von deutschen Dichtern anderes verlangen? Die Dominanz der englischen Sprache in der Rock-Musik hatte primär nichts mit der Kunst in ihr zu tun, sondern drückte nur die Vorherrschaft der anglo-amerikanischen Unterhaltungsmusik-Konzerne im Weltmaßstab aus. Wären das die italienischen gewesen, hätte es einen Sprung von der italienischen zur deutschen Sprache gegeben. Und hier liegt auch der Grund, weshalb wir in der DDR die Nase vorn hatten, was unsere Muttersprache betrifft: wir wollten Kunst und nur Kunst machen, aber Kunst ist national, und eine nationale Kunst bedient sich der Sprache des eigenen Volkes. Wo dagegen Kunst nur ein Nebenprodukt des Profits ist, ist natürlich die Sprache wichtiger, die den größeren Markt sichert. Und das ist das Englische, falls man nicht mit Dabdudei auskommt. Erst als in der BRD die Entstehung einer populären Musik sozialistischer deutscher Nationalität als Bedrohung empfunden wurde, durften deutschsprachige Gruppen nachziehen.
So weit zu dieser vieldiskutierten Frage, weil wir nie vergessen dürfen, welche komplizierten künstlerischen und kulturpolitischen Vorgänge sich abspielten, als die Rock-Musik der Puhdys und anderer Gruppen den zentralen Platz im Gesamtgefüge der populären Musik in der DDR zu erobern sich auf den Weg gemacht hatte.
Die „zweiten" Platten sind deshalb problematisch und oft wirklich auch schwä1-cher, weil sie einen entscheidenden Sprung in der Produktionsweise des Künstlers darstellen. Mit dem Sammeln des zu verschiedenen Gelegenheiten -  . sozusagen MANCHMAL IM SCHLAF -entstandenen Repertoires begann er und landet jetzt bei harter Berufsarbeit, beim LANGSTRECKENLAUF. Schöpferisch sein zu müssen in einer begrenzten Entwicklungs- und Studiozeit, das krempelt völlig um. Doch auch wer damals Einwände gegen diese Platte hatte, muß heute feststellen: eigentlich erst mit ihr begann die Reihe der Puhdys-LP , in der sich ein Album nahtlos an das andere fügte, unter NichtVernachlässigung des Wichtigsten, des ständigen Umgangs mit dem Publikum im Saal. Das Kunsturteil über ein aktuelles Werk ist ohnehin begrenzt. So hielt man es damals für gut, Titeln mit heiteren Sujets wie KINDER oder JODELKUH-LOTTE besonders zu applaudieren. Heute ist aber klar, daß das Publikum von der Rock-Musik und ihren Texten vor allem nicht auf alte, abgenutzte Weise berührt sein wollte und will. Sicher wünschte man Unterhaltung, doch aber zugleich ernsthafteste Aussagen über das menschliche Leben, eingespannt zwischen Liebe und Tod. Inzwischen haben sich immer wieder jene Lieder als dauerhaft erwiesen, die eine Art Signalformulierung besitzen und damit Signalwirkung auf die Gesellschaft ausüben. Sie gehen in das Bewußt-sein des Volkes ein, das sicher gern lacht, aber nicht gekitzelt werden will, wenn ihm nicht danach ist. Das ist ein hohes Maß, vor dem vieles nicht besteht.
Eine genügende Anzahl von Liedern aber der „zweiten" Puhdys-LP erfüllt diesen Anspruch, und so wird ihre Wiederauflage gewiß weniger, zumindest differenzierteren Widerspruch finden als ihr Erscheinen 197 5.
Wolfgang Tilgner