Persische Märchen Aus 1001 Tag

Persische Märchen Aus 1001 Tag

ENDRE VASZONY PERSISCHE MÄRCHEN AUS 1001 TAG

Aus dem Ungarischen von Henriette Schade-Engi
Für die Schallplatte ausgewählt und bearbeitet von Andreas Bauer

Das Wunder im Rosengarten (1. Teil)
Die sonderbare Geschichte der Königin Dilara und des Königs von Tibet
Vom bösen Sultan und dem Hähnchen
Vom Affen und von der Schildkröte
Das Wunder im Rosengarten (2. Teil)

Sprecher: Regine Toelg ■ Hannelore Erle ■ Hans Hildebrandt
Regie: Renate Thormelen

Habt ihr eigentlich schon einmal darüber nachgedacht, was das ist — ein Märchen? Wer sie erfunden hat, diese schönen Geschichten, die man immer wieder hören möchte? Nun, darüber möchte ich euch heute einmal etwas erzählen.
Vor vielen Tausenden von Jahren war das Leben für die Menschen gar nicht einfach. Sie mußten erst lernen, daß man wilde Tiere zu Haustieren erziehen, aus Gräsern Brotgetreide züchten und aus Metallen Werkzeuge anfertigen kann. Einige unter ihnen, die besonders klug waren, hatten beobachtet, daß es nur dann regnete, wenn vorher der Himmel mit grauen dicken Wolkenschleiern verhängt gewesen war, einige andere hatten gesehen, daß kranke Menschen und Tiere gesund wurden; wenn sie bestimmte Kräuter aßen. Statt es aber den anderen Menschen zu sagen, behielten sie es für sich und sagten niemand etwas darüber. Warum, fragt ihr? Nun, sie dachten so: „Die Bauern wollen wissen, wann es regnet, denn der Regen kann ihre Ernte vernichten. Also werden sie uns fragen, weil wir es ja wissen. Wir sagen es ihnen aber nur, wenn sie uns von ihrem Getreide etwas geben." „Und wenn die Kühe der Bauern krank sind", sagten die anderen, „heilen wir sie nur, wenn sie uns dafür eine schöne Kuh, einen starken Ochsen und vielleicht auch noch eins von ihren niedlichen Kälbchen abgeben." Und so geschah es dann auch.
Die schlauen Menschen brauchten bald gar nicht mehr zu arbeiten, denn alle, die von ihnen etwas wissen wollten, gaben ihnen, was sie verlangten. Sie wurden reich, weil sie ihr Wissen benutzten, um die anderen Menschen um alles, was diese sich schwer erarbeitet hatten, zu betrügen.
Den armen Menschen begann es immer schlechter zu gehen: Sie arbeiteten den ganzen lieben langen Tag — aber sie hatten für sich und ihre Kinder kaum etwas zu essen. Da erinnerten sie sich der Zeiten, als es noch keine Reichen gab, die den Armen alles nahmen. Und je mehr sie an diese Zeit dachten, um so schöner erschien sie ihnen. Sie wünschten sich, daß diese Zeit wiederkehren möge. Doch sie konnten sich nicht vorstellen, wie das geschehen sollte. Darum träumten sie von einem Wunder, das ihnen zu einecn schöneren Leben verhelfen sollte. Sie dachten sich gute Geister und Feen aus, die den Menschen bei ihrer schweren Arbeit helfen sollten, verborgene Schätze, die sie finden könnten. In ihren treuen Tieren sahen sie verzauberte Menschen, die sie erlösen könnten, wenn sie nur das rechte Wort finden würden. Die Reichen aber erschienen ihnen als böse mächtige Zauberer oder schreckliche Ungeheuer, die sie- besiegen mußten. Abends dann, am wärmenden Feuer, erzählten sie einander und ihren Kindern von ihren Träumen, und diese Träume — das sind unsere Märchen. Dichter und Gelehrte haben später aufgeschrieben, was sich das Volk erzählte, und ihnen verdanken wir es, daß wir heute die schönsten Märchen aller Völker der Erde kennenlernen können. So oder ähnlich, müßt ihr euch vorstellen, sind auch die Märchen auf unserer Schallplatte entstanden.
Die Märchensammlung „1001 Tag" wurde im Land Persien aufgeschrieben. Sucht nicht erst auf dem Atlas, wo denn dieses seltsame Land liegen könnte — es gibt es heute nicht mehr. Von dem einst sehr mächtigen großen Perserreich ist nur noch ein kleines Stückchen übrig geblieben, und dieses Stückchen von Persien heißt jetzt — Iran. Damals allerdings, als sich das persische Volk diese Märchen
erzählte, war es noch ein reiches schönes Land. Es gab dort Städte mit prächtigen Marmorpalästen und herrlichen Gärten, in denen seltene, wunderbar bunte und süß duftende Blumen und Früchte wuchsen. Die Kaufleute des Landes trieben Handel mit den Völkern im Westen des Mittelmeeres und mit den Völkern des Fernen Ostens.
Sie brachten von ihren weiten Reisen kostbare Stoffe und Edelsteine, Gewürze und viele andere schöne Dinge in ihre Heimatstädte mit. Dort boten sie ihre Waren auf den Märkten aus und erzählten von den Abenteuern, die sie auf ihren Fahrten erlebt hatten. Das Volk des Landes aber war arm. In den weißen Palästen mit den goldenen Kuppeln und den bunten Gärten, die das Volk geschaffen hatte, wohnten der Kaiser von Persien und seine Beamten. Und auch die schönen Dinge, die die Kaufleute aus den fernen Ländern mitbrachten, durfte das Volk nur bewundern — es hatte kein Geld, um sie zu kaufen. So blieb auch dem persischen Volk nichts anderes übrig, als zu träumen — Märchen zu träumen. Ein weiser gütiger Gelehrter des Landes hat diese Märchen gesammelt. Als einst vor 300 Jahren ein Franzose nach Persien kam, lernte er diese Märchen kennen, und weil sie ihm so gut gefielen, brachte er sie mit nach Europa. Und hier wurden sie in viele Sprachen übersetzt. Und wenn ihr jetzt das Märchen vom Wunder im Rosengarten hört, die Geschichte von der Königin Dilara und dem König von Tibet, die Geschichte vom Hähnchen und dem bösen Sultan und vom Affen und von der Schildkröte - dann wißt ihr auch, wer diese Märchen erfunden hat und warum sie uns so gut gefallen, diese Träume vom Sieg des Schönen und Guten auf unserer Erde.
Hannelore