Puhdys - 5 - Perlenfischer

Perlenfischer - Puhdys 5

Wilde Jahre

Sterne verspäten sich nie

Spuren der Nacht

Wenn Träume sterben

Perlenfischer

Es fällt mir schwer

Mephisto

Sei mir nah

Die Ausbeute an Plattenausgaben war 1977 für die Puhdys besonders hoch. Mit GROSSEN ERFOLGEN versuchte Amiga einen Querschnitt des bisherigen künstlerischen Weges. Mit der. was Verkaufsziffern betrifft, kaum zu überbietenden LP ROCK'N' ROLL MUSIC bekannten sich die fünf Musiker zu einer lebendigen Musizierpraxis und zu einer der unversiegbaren Quellen ihres eigenen Schaffens. In der Sowjetunion, wohin es die Gruppe auf ausgedehnten Tourneen immer wieder führte, wurde eine Reihe ihrer wichtigsten Titel einem begeisterten Millionenpublikum zugängig gemacht. Schließlich präsentierten die Puhdys - nach dem erfolgreichen Start in Konzerten - DDR-Rock in Westeuropa. Unvoreingenommene Kenner der Szene werteten die Deutschsprachigkeit und die gesellschaftliche Direktheit dieser weltoffenen Musik als eine gelungene Entdeckung. Daß an unseren Liedern als Ausdruck unserer Verwurzelung in einer erkennbar sozialistischen Umwelt nicht herumzudeuteln war, erleichterte den Puhdys ihre Mission nicht, war aber eine zusätzliche Bestätigung solider künstlerischer Auffassungen. Es ist und bleibt erstaunlich, wie angesichts der nicht nachlassenden Hektik anstrengender Konzert-Reisen dann immer wieder neue Titel reifen könen. Das Jahr 1977 macht da keine Ausnahme. Es entstand die LP PERLENFISCHER, die nunmehr neu aufgelegt wird. Vielleicht ist ein Blick in die Werkstatt interessant, denn die Platten selbst spiegeln keine genaue Chronologie wider. So gehört der von dem trockenen, vorwärtshastenden Rythmus des Schlagzeugs ebenso wie von dem das mystischen Arrangement und Gesangstil geprägte MEPHISTO, der die Selbstbestätigung ; aktiven Menschen zum Inhalt hat, noch in die STURMVOGEL-Zeit. Der liedhafte Titel SEI MIR NAH, der die Platte beschließt und auf schlichte Weise von der Notwendigkeit des Füreinander da seins erzählt, geht auf noch-frühere unfertig gebliebene Fassungen zurück. Daran sieht man, wie sorgfältig die Puhdys mit ihrem musikalischen Material umgehen. Das, wozu man nicht mehr steht, wird rigoros ausgeschieden. Anderes braucht Zeit, sich zu entwickeln, muß sich verändern. Man kehrt zu ihm zurück, wenn man eine tragfähige Stellung gefunden hat, greift es neu auf, vollendet es. Wichtig ist auch eine andere, produktionstechnisch bedingte Eigenheit der Schaffensweise. Da gibt es die ausgesprochenen Studiozeiten, in denen eine Langspielplatte eingespielt werden muß. Das sind konzentrierte Schaffensperioden, in denen alles andere zurücktritt. Sie bedeuten zunächst die Erarbeitung der Lieder selbst, das heißt von Komposition und Text, ein angespanntes Miteinander, ein Suchen und Finden, Verwerfen und Verändern, Abwägen und Anpassen. Der einzelne Titel muß stehen und die Platte insgesamt eine Konzeption bekommen. Die verschiedenen künstlerischen Prozesse laufen dabei nicht gemächlich hintereinander ab, sondern sind auf verwirrende Weise miteinander verflochten, sehr anstrengende Wochen voller Unzufriedenheit und Unrast. Sie bedeuten weiterhin das Einspielen der Titel, von der Absprache und Herstellung der Arrangements über das Aufnehmen der einzelnen Instrumente, des Gesanges, verschiedenster zusätzlicher Klangelemente bis zur endgültigen Mischung. Und erst dabei bildet sich der Titel, wie er später zu hören sein wird, vollkommen heraus, so daß etwa die dichterische Arbeit immer wieder neu einsetzen kann.
Denn die ideale Einheit von Text und Musik ist eines der Prinzipien, um das die Puhdys geradezu verbissen ringen. Das heißt aber oft. daß ein und-dieselbe Komposition im Verlauf von vier Wochen zu einem ganz anderen Lied geworden ist. das in Worten, in Bildern nun etwas ganz anderes ausdrückt als vorher. Diese müssen erneut gesucht und gefunden werden, denn es drängt uns zu einer ganz präzisen, also gesellschaftlich wahren, das heißt künstlerisch eindeutigen Artikulation. In diesen Studio-Perioden entstehen oft auch viel mehr Titel, als dann auf der Platte erscheinen. Der Titelsong PERLENFISCHER, eine Skizze menschlichen Mühens, die schönen Lieder SPUREN DER NACHT und ES FALLT MIR SCHWER, Lieder über die Gefährdung junger Liebe, STERNE VERSPÄTEN SICH NIE. ein Lied von Zweifel und Selbstbehauptung des Künstlers, die WILDEN JAHRE, eine Selbstaussage der Puhdys und eine Selbstaussage jeder jungen Generation, ein Lied, das zwei Jahre später, 1979, eine Art Markenzeichen des zehnjährigen Gruppenjubiläums   abgab - alle diese Lieder in ihrer Unterschiedlichkeit und Vielschichtigkeit, aber auch in ihrer - oft nur unterschwellig mitschwingenden - Zusammengehörigkeit sind dann die gefilterten Ergebnisse eines gedrängten Schaffensrausches. Nicht zuletzt auch stimuliert durch die drängenden Produktionstermine, ein aus der Kunstgeschichte nicht unbekannter Zusammenhang. Eingebettet in diesen überspannenden Schaffensrhythmus ist dann von Zeit zu Zeit -meist für eine Single oder für einen gesellschaftlichen Auftrag - die Entstehung eines einzelnen Titels, der sozusagen von einer Schaffensphase zur anderen überleitet. Solche Titel sind leider oft nur auf Sammel-Alben zu finden, zum Beispiel einer der populärsten Titel der Puhdys überhaupt, ihr „Mitsingetitel" sozusagen, nämlich ALT WIE EIN BAUM (Platz 3 der Hitliste von 1977), diese Paraphrase auf ein bekanntes Fürnberg-Gedicht, aber auch die etwas schlagerhafte ERINNERUNG (Spitzentitel 1977) nur bei den GROSSEN ERFOLGEN. MEPHISTO teilt dieses Schicksal glücklicherweise nicht. Und auch WENN TRÄUME STERBEN (Platz 4 im gleichen Jahr) gehört zu diesen Titeln, ein Lied, dessen Einfachheit und zugleich Allgemeingültigkeit viele, auch viele ältere Menschen zutiefst berührte, in dem sie wie in einem Spiegel eine Erkenntnis des eigenen Lebens erblickten. Es würde sich bestimmt lohnen, die Lieder der Puhdys in dieser ihrer inneren Kongruenz ebenso wie Entwicklung einmal auszuloten, genauer zu betrachten, wie sich und welche Themen sich zu welchen Zeiten artikulieren, wie sich Sprechweisen wandeln, wie Melodienfindung, Sound, Rhythmik sich entfalten, welchen Veränderungen das unterworfen ist. Eine solche Arbeit, die noch geleistet werden muß, würde ein wenig von dem „Phänomen" Puhdys erhellen, das mir spätestens seit der LP PERLENFISCHER nicht mehr ausgeredet werden konnte, ein Phänomen, das bei Niederschrift dieser Zeilen immer noch andauert, das der zeitüberspannenden Popularität - dieser Lieder. Und nicht nur dieser Gruppe, was ja niemand leugnet. Das Phänomen Puhdys kann eben nicht bloß soziologisch als Modell- und Idealfall gesellschaftlicher Identifikation Künstler-Gesellschaft gedeutet werden. Es muß seinem tiefsten Wesen nach in diesen Liedern liegen. In ihnen wohnt das Geheimnis ihrer Lebendigkeit. Die LP PERLENFISCHER klingt so frisch wie am Erscheinungstag.

Wolfgang Tilgner