Herbie Hancock & Chick Corea

HERBIE HANCOCK - CHICK COREA

Seite 1

Liza
Komposition: George Gershwin

Maiden Voyage
Komposition: Herbie Hancock

Seite 2

La Fiesta
Komposition: Chick Corea

Herbie Hancock (p) = Linker Kanal
Chick Corea (p)        = Rechter Kanal
rec. Live Februar 1978, San Francisco, Los Angeles, San Diego/USA
Lizenzgeber CBS Records International

Die Namen der Pianisten und Keyboardspieler Herbie Hancock und Chick Corea wurden erstmals gemeinsam genannt, als sie Mitte der sechziger Jahre bei Miles Davis an zwei Elektro-Pianos spielten. Auf der vorliegenden Schallplatte erleben wir sie nicht als Interpreten des Free- oder Rockjazz, sondern als seriöses Piano-Duo des Konzertsaales. Beide Pianisten lassen dabei zwar in vielfältiger Weise erkennen, daß sie vom Jazz herkommen, aber in erster Linie bekennen sie sich in diesem Mitschnitt zu den großen Vorbildern der klassischen Musik. Erinnert sei daran, daß Herbie Hancock wie Chick Corea eine klassische Ausbildung absolvierten.
HERBIE (HERBERT JEFFRY) HANCOCK wurde am 12. April 1940 in Chicago geboren, erhielt mit sieben Jahren seinen ersten Klavierunterricht und spielte bereits als Elfjähriger mit dem Sinfonie-Orchester seiner Vaterstadt Wolfgang Amadeus-Mozarts „Krönungskonzert" D-dur (KV 537). Nach einem vierjährigen Kompositionsstudium am College zu Iowa, das ihm später die Würde eines Ehrendoktors verlieh, wirkte Hancock zuerst in Chicago. 1960 übersiedelte er nach New York, wo er mit so herausragenden Musikern wie Donald Byrd, Oliver Nelson, Eric Dolphy und Miles Davis zusammen spielte. Rückblickend auf diese Jahre meint Hancock heute, er sei damals ein musikalischer Snob gewesen. Eigene Formationen wechselten seit 1968. Seine Schallplatte „Head Hunter" errang weltweiten Widerhall. Hancocks blues-, soul- und funkyorientierte Musik wurde geprägt durch ein weitgehend elektronisches Instrumentarium. Auch als Filmkomponist konnte der populäre Pianist große Erfolge verzeichnen. Bezeichnend für Herbie Hancock sind seine Worte: „Was die Menschheit braucht, ist mehr Respekt vor dem menschlichen Leben und Verständnis für das, was Humanität wirklich ist."
ANTHONY ARMANDO „CHICK" COREA ist einmal als Romantiker des Rockjazz charakterisiert worden. Das stimmt, sagt aber nicht alles über ihn aus. Am 12. Juni 1941 in Chelsea geboren, wurde er seit seinem sechsten Jahr im Klavierspiel unterrichtet. Die erste Improvisationspraxis vermittelte ihm das Zusammenspiel mit dem Vater. Bereits in jungen Jahren erregten Coreas brillante Technik und Anschlagskultur Aufsehen; Vorzüge, die ihn auch heute noch auszeichnen. Seit 1962 Mitwirkung in verschiedenen Jazzformationen, u.a. bei Blue Mitchell, Herbie Mann, Miles Davis und Gary Burton. Anfang der siebziger Jahre verlagerten sich bei Chick Corea die Akzente vom freegeprägten Jazz zum Rockjazz unter Einbeziehung südamerikanischer Rhythmusinstrumente. Bezeichnend für diesen neuen Musizierstil war Coreas Vorliebe für ausgefallene Metren wie 11/8 und 15/8 (Aufnahmen mit der Gruppe „Return To Forever").
Die Mitschnitte des Duo-Abends „AN EVENING WITH HERBIE HANCOCK AND CHICK COREA IN CONCERT" stammen aus dem Jahre 1978. Den Schlagersong „LIZA" komponierte George Gershwin 1929 für die Ziegfield-Revue „Show Girl". Die Melodie wurde sowohl im Chicago Jazz als auch im Swing und Modern Jazz mehrfach als Improvisationsgrundlage verwendet. Herbie Hancock und Chick Corea spielen jazzig-swingend, technisch souverän und ausgewogen im Zusammenklang. Gershwins 32taktiges Thema wird in phantasievoll-eigenwilliger Weise abgewandelt und rhythmisch akzentuiert: ausgeprägt virtuos, betont konzertant und bezwingend im geistvollen Dialogisieren. Halten sich die Duo-Partner anfangs noch sehr an die Anlage des Themas, erweitern sie im Verlauf ihres Spieles ihre Improvisationen bis hin in die Gefilde der punktuellen Musik. Auch harmonisch spannen sie den Bogen außerordentlich weit. Dabei wirkt nichts ertüftelt oder konstruiert. Man spürt die Freude beider Pianisten an ihrem geschliffenen Musizieren, eine Freude, die sich (der Beifall beweist es) spontan auf die Hörer überträgt.
Das Prinzip konzertanten Musizierens wird in „MAIDEN VOYAGE" (so nannte sich 1966 eine Schallplatte Hancocks) noch stärker betont als in „Liza". Die Musik wirkt — dem Titel entsprechend — anmutig und grazil. Spielerische Figurationen prägen das durchweg transparente Klangbild. Hämmernde Rhythmen werden durch meditative Lyrismen kontrapunktiert. Stilistisch sind Impulse von Bela Bartök und Darius Milhaud zu erkennen, und die neoklassizistische Welt Lennie Tri-stanos wird genauso gestreift wie die Piano-Strukturen eines Pierre Boulez.
„LA FIESTA" gehört zu den bekanntesten Stücken Chick Coreas. In der Einleitung verdichtet sich perkussive Rhythmik, unterbrochen durch lyrische Episoden, zum Rhythmus spanischer Tanzfolklore. Handgeschlagene Geräusche imitieren den Klang von Kastagnetten. Die mitreißende Musik könnte der spanische Meister Manuel de Falla (1876-1946) komponiert haben, dessen Gesamtwerk von der Folklore seiner Heimat durchdrungen ist. Herbie Hancock und Chick Corea inspirieren sich gegenseitig und verwandeln in immer neuen Einfällen Motive, Themen, Metren, Rhythmen und Harmonien. Das Ganze ist ein überzeugendes Beispiel dafür, daß echte Improvisationen - über Technik und Handwerkskunst hinauswachsend - mit schöpferischer Arbeit gleichzusetzen sind. Selbst die Coda bringt noch Überraschungen: Das vitale Musizieren verklingt heiter und nachdenklich. Die eingängige Tanzweise wird noch einmal zitiert und zu einem effektvollen Finale gesteigert.
Gottfried Schmiedel (1981)
VEB DEUTSCHE SCHALLPLATTEN BERLIN DDR Made in German Democratic Republic
Fotos: CBS
Gestaltung: Christoph Ehbets