Gianna Nannini

Gianna Nannini

Primadonna

Fotoromanza

Latin Lover

Kolossal

Se Vai Via

Amore Amore

Siamo Ricchi

Carillon

Ballami

Fiesta

Ragezzo Dell´ Europa

Volo 5-4

Auch wenn sie mit den „Primadonnas" auf Tournee geht - Gianna Nennini ist alles andere als eine solche. Auch wer das schöne Geschlecht aus bella Italia mit Mama und Madonna assoziiert ist bei ihr an einer absolut falschen Adresse. Belcanto und der Schmelz so mancher italienischer Schlagerliedchen haben mit ihr ungefähr so viel zu tun wie Doris Day mit Janis Joplin. Mit letzterer hat Gianna nicht nur die Reibeisenstimme gemeinsam Auch wenn Vergleiche immer hinken: Beide artikulieren auf ganz spezifische Weise das Lebensgefühl einer Gruppe von Frauen, die steh nicht mehr damit zufrieden geben, Rockmusik zu konsumieren, auf Plattenhüllen zu posieren, sich als Go-Go-Girls zu vermieten, bestenfalls im Background eines Stars zu singen. Musikerinnen wie Joan Armatrading, Joni Mitchell, Patti Smith, Nico, Sade singen und spielen nicht mehr das. was ihnen männliche Kollegen (vor) schreiben, sondern machen ihre eigene Musik, ihre eigenen Texte. Die Energie des Rock, zu der sie Zugang haben, wirkt auf das Publikum weiter: Wenn die weiblichen Konzertbesucher, meist sind sie in der Mehrzahl, aus dem Saal gehen. soften sie etwas von dem Selbstbewußtsein mitnehmen, das sich Sängerinnen wie Gianna Nannini erarbeitet, erkämpft, ersungen haben.
Die Frauenbewegung war sehr wichtig für mich. Sie hat mir geholfen, mich zu verstehen und mich durchzusetzen. Aber auf der anderen Seite will ich nicht einem dogmatischen Zirkel angehören. Außerdem sind auch Männer meine Realität, und ich will mit ihnen umgehen könnon", sagt Gianna. Ihr Umgang mit den „Primadonnas“. Ihren Studio- und Tourneemusikern, ist jedenfalls so gut, daß die Zusammenarbeit bereits als kontinuierlich zu bezeichnen m Der kreative Prozeß schließt Kollektivität nicht aus. Ich schreibe den Text und die Melodie, und dazu steuert jeder Musiker seine Ideen bei, das heißt wir arbeiten kollektiv. Und es kommt rocht selten vor, daß denn an den Texten oder an den Musikern etwas geändert wird"
Die Songs ihrer ersten beiden Langspielplatten sind zumeist autobiographiscc, berichten von ihrer Kindheit vom Erwachsenwerden.
Ort des Geschehens: Siena, ein mittelalterliches Städtchen in der Toscana. Zeit nach jenem Sommertag des Jahres 1954, als Gianna dort geboren wird. Die Eltern haben eine gutgehende Bäckerei, und sie hätten es wohl ganz gern gesehen, wenn Gianna sich ebenso für pasta, pane und panino (Kuchen, Brot und Brötchen) begeistert hätte. Gianna war das alles ein bißchen zu eng: .Ich bin froh, aus dieser Stadt zu sein, empfinde viel für ihre Geschichte. Aber ich mußte mich aus der Enge der Mauern befreien und einen weiten Raum finden, von dem meine Musik heute lebt“
Mit 15 steht sie zum ersten Mal auf der Bühne, mit einer Gitarre. Da sie aber nicht weiß, wie der dazugehörige Verstärker zu bewegen ist, ihre Spielkunst dem Publikum hörbar zu machen, stellt sie sich einfach ans Mikrofon und singt - an Selbstbewußt-sein scheint's ihr bereits damals nicht gemangelt zu haben. In Turin, Mailand und Florenz studiert sie Musik, insgesamt acht Jahre lang. Bach, Schumann und Clementi hinterlassen allerdings keine bleibenden Eindrücke, Thema ihrer Examensarbeit „Die Rolle der Frau in der Musik".
Der Produzent Claudio Fabi holt den „weiblichen Drupi", wie man sie anfangs etikettiert, ins Plattenstudio, Die ersten beiden LP erzielen jedoch nicht mehr als lokale Achtungserfolge. Dann kommt das Erlebnis Amerika, der Kontakt mit der Rockmusik: .Das war wie eine zweite Geburt für mich. Mit dieser Musik konnte ich rausschreien, was mir weh tat und was mir auf die Nerven ging.“ Der Song „America" macht sie zum internationalen Star. Sie selbst fühlt sich nicht als Idol: „Wahrscheinlich bin ich einfach lernend, der etwas weiter ist als andere." Zumindest musikalisch stimmt das - italienisch gesungene Rockmusik, von Italienern gemacht, ist noch heute in Italien die Ausnahme. 1962 hat schon einmal eine ähnlich temperamentvolle Italienerin gegen den Expansionsdrang der angloamerikanischen Popmusik, gegen die kulturelle Überfremdung angesungen: Rita Pavone. Sie mußte damals noch Kompromisse eingehen und Ihre Songs auch In deutscher und englischer Spreche produzieren, Gianna Nannini singt konsequent in der Sprache ihrer Heimat Und ihre Botschaft kommt an, denn sie wird auf mehreren Ebenen transportiert Musik, Text, der Einsatz der Instrumente, der Klang der Stimme. Gianna: .Ich halte mich für eine Italienerin, und ich halte auch meine Musik für italienische Musik. Ich will nicht die amerikanische Musik kopieren. Mich interessiert meine Umgebung, meine Gegenwart. Ich will musikalische Ideen entwickeln, die von meiner Kultur ausgehen." Sie bevorzugt den harten Rock, bezieht aber auch Elemente der musikalischen Folklore Italiens ein.
Die vorliegende Platte vereint Songs, die 1982 („Latin Lover") und 1984 („Puzzle*) auf Langspielplatten erschienen sind. Gianna Nannini hat alle Songs komponiert und auch an den Texten maßgeblichen Anteil. Die Texte kommen aus ihrem Erlebnisbereich, reflektieren eigene Erfahrungen mit dem Showgeschäft das sie gern als „Primadonna" hätte, mit Partnern, die allzu oft ihren Stil wechseln („Latin Lover"). schildern die Zeit „vor dem Abflug“, Menschen, die Immer nur .auf der Durchreise' sind („Volo 5/4“). Gianna spielt Violine, Piano und Synthesizer, hinzu kommen ausgezeichnete Studiomusiker, von denen Ann Lennox und Anette Humpe auch über solistische Erfahrungen verfügen. Auf der Bühne steht sie von der ersten bis zur letzten Minute ihrer Show unter Hochspannung, sie verausgabt sich total. Inzwischen stand sie auch vor der Kamera. 1982 drehte Bertolucci einen Film über den verbrecherischen Terroranschlag auf den Bahnhof von Bologna, der 80 Todesopfer forderte. Gianna Nannini schrieb auch die Musik dazu. Und als Produzentin junger Sängerinnen ist sie ebenfalls aktiv. Wann es die Arbeit im Studio oder die Konzert-Verpflichtungen zulassen, treibt sie leidenschaftlich gern Sport besonders Karate – „Des fordert den ganzen Manschen, inklusive Kopf.“ Mit Gianna Nanninis Musik ist's ähnlich...
Rainer Bratfisch (1986)